1991 habe ich in der Türkei gearbeitet. Golfkrieg. Von meinem Arbeitsplatz aus sah ich die amerikanischen Kriegsschiffe vor Anker liegen, welche auf ihren Einsatz am Golf warteten. Und Kollegen und Freunde und Bekannte fragten mich, wie ich denn in einer Region arbeiten könne, wo Krieg herrscht. Wo ich täglich der Gefahr ausgesetzt sei. Nicht in Sicherheit …
Aber gerade die Sicherheit schätzte ich vor Ort anders ein, als meine Leute daheim. Was ich täglich erlebte, das liess mich einen Umgang mit den Gegebenheiten in der Türkei finden, der mich Sicherheit anders bewerten liess. Das liess mich einsehen, dass ein zu grosses Sicherheitsdenken für uns als Individuen und auch für Unternehmen ein Problem sein kann.
Mit Sicherheit ein gefährlicher Trend
Sicherheit ist wichtig. Keine Frage. Ich möchte mich sicher fühlen, wenn ich anderen Menschen begegne. Ich wünsche mir finanzielle Sicherheit. Sicherheit in der Partnerschaft. Für Unternehmen wird zum Beispiel die Datensicherheit immer wichtiger. Aber wenn der Wunsch nach Sicherheit bedeutet, dass ich diese Sicherheit über alle anderen Bedürfnisse stelle, dann wird das gefährlich:
Ein Unternehmen, dessen Unternehmenskultur das Sicherheitsbedürfnis über das Vertrauen in die Mitarbeiter setzt, zu dessen DNA die Kontrolle der Mitarbeitenden gehört, diese allenfalls sogar mit Video überwacht.
Insofern halte ich den Trend, den ich beobachte, dem Wunsch nach Sicherheit immer mehr Raum zu geben, für gefährlich. Ja, erzeugt mehr Sicherheitsdenken nicht sogar weniger Sicherheit?
Selbstoptimierung als Selbstversicherung
So wichtig mir auch die Selbstverantwortung ist, zum Beispiel mit Blick auf die eigene Gesundheit oder für die Art und Weise, wie Sie arbeiten, kommt es mir auch auf das richtige Mass an. Viele Menschen treibt ihr Sicherheitsgefühl dazu, dass Sie es übertreiben (im Businesskontext oder in der Politik würden wir von Überregulation reden). Und dieses Übertreiben führt dann zu einer stärkeren Verunsicherung.
Sie haben zum Beispiel das Gefühl, Sie müssten etwas für Ihre Fitness tun. Sie benutzen einen Fitnesstracker, der Sie mit allerlei Daten über Ihre Aktivitäten versorgt. Diese Datenmenge soll Ihnen ermöglichen, sich selbst zu optimieren. Und wenn Sie einmal optimiert sind, dann können Sie sich sicherer in Ihrer Haut fühlen.
Das Gegenteil ist aber oft der Fall. Der Trend zur Selbstoptimierung verunsichert je nachdem die Menschen mehr, als dass er Ihnen einen festeren Stand im Leben ermöglicht.
Und so ist das in vielen Bereichen: Wir überregulieren, weil uns gegen ALLE Gefahren versichern wollen, weil wir KEINE Risiken eingehen wollen. Weil wir verlernt haben, anzuerkennen, dass das Leben als solches immer auch unsicher ist. Anzuerkennen, dass die Vuka-Welt eigentlich der Normalzustand ist.
Wir haben unsere Balance mit Blick auf die Sicherheit verloren.
Mehr Sicherheit durch Lernen
Der Trend, den ich in unseren Breitengraden beobachte, zeigt, dass das Unsicherheitsgefühl zunimmt, je sicherer wir leben. Und somit werden immer mehr Massnahmen ergriffen, die Sicherheit garantieren sollen. Ein Trend, der in der Pandemie sehr gut zu beobachten war und ist.
Aber das funktioniert nicht. Wir können uns nicht gegen alles versichern. Nicht Sie. Nicht unsere Unternehmen. Gibt es morgen noch meinen Job? Gibt es morgen noch den Markt, den ich bediene?
Wenn Sie hier allein den Fokus auf die absolute Sicherheit legen, dann verlieren Sie Ihre Beweglichkeit.
Sie können nicht mehr angemessen auf die Umstände reagieren, weil Sie überregulieren. Sie sind nicht mehr achtsam genug. Sie verpassen es, zu lernen, mit unsicheren Situationen umzugehen – und dass dies geht, habe ich in der Türkei erfahren. Aufmerksam sein. Auf die Umgebung achten. Zu lernen, einen Sinn für die Situationen zu entwickeln. Zu lernen, das Sicherheitsbedürfnis und unsichere Situationen auszubalancieren. So erhalten Sie sich – und so behalten auch Unternehmen – Ihre Handlungsfähigkeit.
Ihr Markus Hotz