,Ist das ein Witz? Vielleicht eine Art Satire auf den heutigen Mainstream in unserer Gesellschaft?’, das waren meine ersten Gedanken als ich diesen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung las.
Der Ravensburger Verlag zieht zwei Winnetou-Kinderbücher zurück, weil es rund um die Bücher des Karl-May-Helden im Internet einen Shitstorm gegeben hatte: „Karl May – das geht gar nicht mehr. Rassismus. Kolonialismus. Kulturelle Aneignung …“ – heißt es …
,Was?’, dachte ich – und war verwirrt. Ich hatte die Bücher von Karl May verschlungen, hatte die Winnetou-Filme als Kind mehrere Male gesehen. Wir hatten als Winnetou, als Old Shatterhand verkleidet gespielt. Kulturelle Aneignung – oder eher seiner eigenen Welt etwas Neues hinzufügen?
Aber es war nicht so sehr die faktische Frage, ob sachlich vielleicht etwas daran sein könnte, was mich nach dieser Lektüre umtrieb und heute noch umtreibt.
Was mich umtreibt, wenn ich die Vehemenz registriere, mit der Themen wie eben kulturelle Aneignung oder auch Gendern angegangen werden, ist etwas anderes: Etwas, das ich mit Blick auf unsere Gesellschaft und auch unsere Unternehmen mit Sorge betrachte und dem ich gerne entgegenwirke möchte.
Der Spielraum des Sagbaren und des Denkbaren
Die Vehemenz, mit der solche Diskussionen geführt werden, und wie breit diese Diskussionen auch in der Presse geschlagen werden, das macht etwas mit den Menschen: Bei ihnen entsteht eine maximale Unsicherheit. Und das bemerke ich bis tief in die Unternehmen hinein:
Was dürfen Sie noch sagen – oder vielmehr: Was dürfen Sie nicht mehr sagen, um nicht „rassistisch“ oder als „kulturell aneignend“ oder auch „sexistisch“ abgestempelt zu werden?
Was dürfen Sie noch fragen?
Der Spielraum des Sagbaren und des Fragbaren und des Denkbaren wird kleiner. Stellen Sie die ganze Diskussion rund um das Gendern, rund um kulturelle Aneignung in Frage, dann ist die Gefahr gross, in der öffentlichen Diskussion als „der Gegner“ dazustehen.
Wenn sich nur noch die ganz Mutigen frei äußern
Und das ist es, was ich als gefährlich ansehe – für unsere Gesellschaft und unsere Unternehmen: Diese Diskussionen spalten. Sie drängen die Menschen in eine Richtung, die auf Gleichmacherei zuläuft. Eine Welt, in der sich nur noch die ganz Mutigen frei äußern.
Es ist die Kleinmacherei der Möglichkeiten des Miteinander, die Einschränkung des Sagbaren und Denkbaren, die Errichtung von Barrieren, die Verringerung der Vielfalt – und auch der Freiheit.
Aber wir müssten, um in einer immer komplexer werdenden Welt klarzukommen, um die Probleme, die uns herausfordern, in den Griff zu bekommen, um für eine lebenswerte Zukunft zu sorgen, eigentlich die Räume des Denkbaren, des Sagbaren, des Fragbaren vergrössern.
In einer Welt, die immer unsicherer, weil weniger plan- und steuerbar wird, sollten wir eigentlich dafür sorgen, dass es mehr geschützte Räume gibt, in denen sich die Menschen kreativ und frei und individuell vielfältig entfalten können. Und das gilt im besonderen Masse für die Unternehmenswelt. Denn ohne diese Kreativität und Freiheit wird es keine lebenswerte Zukunft geben.
Diskussionen, die Brücken statt Barrieren bauen
Nur: warum werden so viele Diskussionen geführt, bei denen es nicht um ein Miteinander und um Austausch geht, sondern um Ideologie? Um Rechthaberei. Um Schuldzuweisungen. Warum wird auf eine Weise diskutiert, die Angst erzeugt? Warum wird den Diskussionen über Probleme, die mit den Problemen, die den Menschen wirklich unter den Nägeln brennen, wenig zu tun haben, so viel Raum gegeben. Wie zum Beispiel der Diskussion um die Winnetou-Bücher.
Warum gerade jetzt ein solcher Disput?
Ich dachte ja erst, das sei ein Witz … Aber leider ist diese Entwicklung sehr ernst. Weil ich spüre, wie diese Entwicklung die Menschen verändert: Sie werden dazu verleitet, nicht mehr kritisch zu denken. Auf einen Unternehmer gemünzt: Ein Unternehmer wird verleitet, weniger zu unternehmen. Vorsicht ist das Gebot der Stunde. Aber nicht Mut. Nicht Freiheit. Nicht eigenständiges Denken. Nicht ein Denken, das auch mal „etwas anderes macht, als man es so macht“.
Und deswegen denke ich: Wir brauchen andere Diskussionen, Diskussionen, die Brücken bauen – und keine Barrieren.
Ihr Markus Hotz